
30/03/2023
Investieren und verhaltensorientierte Finanztheorie
Wie hängen verhaltensorientierte Finanztheorie, Investments und Vermögensverwaltung zusammen?
Sie sind sehr eng miteinander verbunden, denn es ist wichtig zu verstehen, welche Fehler man überhaupt begehen kann und wie kostspielig das sein kann. Wenn man z. B. die geografische Diversifizierung auf internationaler Ebene nicht vollständig versteht und sich allein für den „Home Bias“ entscheidet, verzichtet man bestenfalls auf die Optimierung des Risiko-Rendite-Verhältnisses des Portfolios und schlimmstenfalls könnte man auf dem heimischen Markt schwere Verluste erleiden. Manch ein Anleger mit übermäßigem Selbstvertrauen wagt beim Investieren die „Do-it-yourself“-Strategie, was gewisse Risiken birgt. Verlustaversion – die Erkenntnis, dass ein Verlust emotional und psychologisch mehr als doppelt so schwer wiegt als ein Gewinn in gleicher Höhe – führt dazu, dass der Anleger bei fallenden Kursen verkauft, obwohl er rational in solchen Fällen kaufen sollte, weil die Aktienmärkte mittel- bis langfristig steigen. Benjamin Graham, der Mentor von Warren Buffett, schreibt in seinem Buch „Der intelligente Anleger“, dass das Hauptproblem oder vielleicht der schlimmste Feind des Anlegers wahrscheinlich er selbst sei. Es ist also wichtig, diese Fehler zu kennen, damit man sie vermeiden oder zumindest die negativen Auswirkungen abschwächen kann. Wir können weder die Entwicklung der Märkte noch äußere Ereignisse wie Kriege oder Pandemien kontrollieren, aber wir können und müssen in der Lage sein, auf das Einzige einzuwirken, was wir kontrollieren können: unser eigenes Verhalten.
Es reicht jedoch nicht aus, über Verhaltensfehler Bescheid zu wissen, um sie zu korrigieren, denn manchmal sind sie so tief in der Denkweise des menschlichen Gehirns verankert, dass man sie nicht bewusst verändern dann. Kurz gesagt, das Motto „wenn man sie kennt, vermeidet man sie“ gilt für Verhaltensfehler nicht. Daher ist es wichtig, bei Investitionen Unterstützung zu erhalten, die es dem Anleger ermöglicht, die schlimmsten Fehler zu vermeiden, angefangen bei der Kenntnis dieser Fehler.
Welche sind die 4 Säulen der verhaltensorientierten Finanztheorie?
Die erste Säule bilden Verhaltensfehler bzw. kognitive Verzerrungen. Dabei handelt es sich um die Veranlagung, Fehler unterschiedlichster Art zu machen. In der Regel unterscheidet man zwischen kognitiven und emotionalen Fehlern. Die kognitiven Fehler hängen davon ab, wie wir Daten und Informationen wahrnehmen und verarbeiten, also wie wir denken, während die emotionalen Fehler von unseren Gefühlen, also wie wir empfinden, abhängen. Diese Unterscheidung wirkt manchmal ein wenig erzwungen, da viele der begangenen Fehler sowohl eine kognitive als auch eine emotionale Komponente beinhalten. Zum Beispiel handelt es sich beim so genannten „Home Bias“ um jene Fehler, die Investoren machen, wenn sie vorwiegend in inländische Wertpapiere investieren und keine ausländischen Wertpapiere in ihrem Portfolio haben. Somit verzichten sie auf eine größere geografische Diversifizierung. Die kognitive Komponente betrifft die mangelnde Kenntnis oder das mangelnde Verständnis für den Begriff Diversifizierung. Gleichzeitig spielt aber auch ein emotionaler Aspekt mit, der auf der so genannten Vertrautheit beruht: Das ist die Tendenz, vertraute Dinge als höherwertig einzustufen und sie somit zu bevorzugen.
Die zweite Säule der verhaltensorientierten Finanztheorie betrifft den Aspekt der Vertrautheit. Es handelt sich um mentale „Abkürzungen“, die das menschliche Gehirn bei der Entscheidungsfindung wählt. Oft beruhen diese nicht auf rationalen Überlegungen oder fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern sind eher Faustregeln. Die Verwendung dieser sogenannten Heuristiken, die auf Vertrautheit fußen, kann zu Fehlern führen.
Die dritte Säule machen die so genannten Framing-Effekte aus. Der englische Begriff frame kann mit Rahmen übersetzt werden, also sind Framing-Effekte Einrahmungseffekte. Darunter versteht man die Art und Weise, wie wir bestimmte Daten oder Informationen einsortieren und in einen Kontext bringen. Dadurch kann unsere Wahrnehmung verzerrt und unsere Entscheidungen, zumindest teilweise, beeinflusst werden.
Die vierte Säule sind die „Nudges“, ein Begriff, der mit „sanfter Schubs“ übersetzt werden kann und die Möglichkeit betrifft, Verhaltensfehler zu verbessern. Einige Fehler, vor allem kognitive, können korrigiert werden, andere, vor allem emotionale, sind schwieriger zu beseitigen. Der Bedarf des „sanften Schubs“ ergibt sich aus der Notwendigkeit, Verhaltensfehler zu korrigieren, auch dort wo das menschliche Verhalten nicht geändert werden kann. Die Idee ist einfach und genial zugleich: Da Entscheidungen und das Umfeld von Menschen ihr Verhalten beeinflussen, kann man annehmen, dass sich ihre Entschlüsse und Handlungen dann ändern, wenn sich auch ihr Umfeld ändert.
Da Entscheidungen und das Umfeld von Menschen ihr Verhalten beeinflussen, kann man annehmen, dass sich ihre Entschlüsse und Handlungen dann ändern, wenn sich auch ihr Umfeld ändert.
“Wie kann sich in der Zeit nach der Pandemie, in der sich auch die Finanzmärkte stetig stark verändern, die verhaltensorientierte Finanztheorie zu einem nützlichen Instrument für unsere Berater und damit auch für unsere Kunden entwickeln?
Es ist ein grundlegendes Instrument für Berater, um ihren Kunden zu helfen. Berater und Beraterinnen müssen unbedingt spezielle Fachkenntnisse haben und die Funktionsweise der Märkte und der Anlageinstrumente kennen. Gleichzeitig müssen sie unbedingt Erfahrungen in Bezug auf menschliches Verhalten und somit auf die verhaltensorientierte Finanztheorie besitzen, damit sie Kunden helfen können, ihre Fehler zu korrigieren. Dies ist umso wichtiger in Zeiten hoher Volatilität und Unsicherheit, wie wir sie seit Jahren erleben, zunächst aufgrund der Pandemie, dann aufgrund des Krieges, der sich auf die Realwirtschaft und die Aktienmärkte ausgewirkt hat.
Dazu hat der rasende Inflationsanstieg beigetragen, der die Zentralbanken zu plötzlichen und starken Zinserhöhungen veranlasst und im Anleihesegment zu oft unerwarteten Kapitalverlusten geführt hat, die von den Kunden nicht vollständig verstanden worden sind. Gerade in diesem Bereich wird der Beitrag der verhaltensorientierten Finanztheorie deutlich, denn es reicht nicht mehr aus, Kunden zu erklären, dass bei steigenden Marktzinsen die Preise der Obligationen sinken, da die allgemein verbreitete, aber leider falsche Wahrnehmung herrscht, dass Obligationen sicher sind.Es ist daher notwendig, auf der Verhaltensebene zu handeln, um solche „Verankerungen“ und die Tendenz des Gehirns zu widerlegen, den Dingen emotionale Etiketten anzuheften, wie z. B. die Gleichung „Obligationen = Sicherheit“, die offensichtlich nicht stimmt. Alle Investitionen, in Aktien oder in Obligationen, bieten große Chancen, aber man muss sie managen können und zwar auf fachlicher wie auch auf verhaltensbezogener Ebene.
Die Unterstützung eines erfahrenen Finanzberaters, der beide Aspekte beherrscht, ist demnach unerlässlich. Dieser Berater fungiert sozusagen als „erster Steuermann“ seines Kunden, wie man es aus der Geschichte von „Odysseus und die Sirenen“ kennt. Um einem emotionalen Bedürfnis zu widerstehen – dem Gesang der Sirenen zu folgen – wählt Odysseus eine rationale Strategie: Seine Männer sollen sich Wachs in die Ohren stecken und er selbst soll an den Mast festgebunden werden, denn er weiß, dass er keinen klaren Kopf mehr behalten wird, sobald er den Gesang hört. Allein kann er aber die Strategie nicht umsetzen, dazu braucht er seinen ersten Steuermann, jene Person, der er am meisten vertraut. Er lässt sich an den Mast tbinden, sagt ihm, er solle ihn erst losbinden, nachdem das Schiff an den Felsen vorbeigesegelt ist und bis dahin soll der Steuermann seinem Flehen und seinen Befehlen nicht nachgeben. Odysseus weiß, was anderenfalls passieren würde: Er würde das Schiff auf die Felsen zusteuern und alles wäre verloren. In unserem Fall ist der verhaltensorientierte Finanzberater der erste Steuermann des Kunden. Zusammen werden sie eine rationale Strategie für den Fall festlegen, dass der Kunde dem Sirenengesang der Märkte ausgeliefert sein sollte. Wenn Volatilität herrscht und der Kunde versucht sein sollte, zu verkaufen, wird der Berater ihm empfehlen, nicht zu verkaufen, da die Märkte wieder steigen werden. Jedenfalls muss der Kunde eine rationale Methode anwenden, um das Schiff und seine Passagiere sicher durch die rauen Gewässer der Märkte zu bringen.